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Vereinsnachrichten 3/2022

Tachertinger Gemeindebote Nr. 3/2022 vom 16. März 2022

„LINDE - große Produkte aus kleiner Provinz" - Ausstellung Industriegeschichte Tacherting Teil 2

Ziemlich genau vier Jahre nach der Eröffnung der Ausstellung Industriegeschichte Teil 1 — „SKW und Alzchem" im Jahre 2018, möchte der Heimatverein Tacherting am zweiten und dritten Oktoberwochenende, 08./09. Oktober sowie 15./16. Oktober den zweiten Teil der Industriegeschichte, „LINDE — große Produkte aus kleiner Provinz' präsentieren. In dieser Ausstellung wird der Fokus auf den Beginn der Fa. LINDE im Werk Schalchen 1 943 bis in etwa Mitte der 70-iger Jahre gelegt. Letztendlich führen zwei Wege nach Schalchen, so der Vorsitzende des Heimatvereins, Andreas Leonhard, der erste Weg von Höllriegelskreuth bei Pullach, der zweite Weg der Fa. Heylandt von Berlin nach Schalchen. Ab 1943 setzten schwere alliierte Luftangriffe ein, von denen fast alle Werke der Gesellschaft für LINDE's Eismaschinen betroffen waren. Kriegswichtige Produktionsstätten wurden in weniger bombengefährdete Gebiete ausgelagert. Bereits im Sommer 1 943 hatte Richard Linde für die Abt. B (Apparatebau-Anstalt) in Höllriegelskreuth eine Ausweichwerkstatt gesucht. Entsprechende Räumlichkeiten fand man in gemieteten Hallen der Süddeutschen Kalkstickstoffwerke (SKW) in Schalchen bei Tacherting. Aufgrund der vollen Auftragsbücher wurde ab Mitte 1943 der Ausweichbetrieb in Schalchen aufgebaut. Einige Höllriegelskreuther Fachkräfte begannen mit der Fertigung kleinerer Wärmetauscher und setzten eine bescheidene Dreherei in Betrieb. Zudem wurden etwa 65 Prozent der Vorarbeiten für die Flüssiggasseite des NS-Raketenprogramms A4 (V2 — Rakete) in Höllriegelskreuth und Schalchen ausgeführt.

Im März 1945 stießen Teile der aus Berlin über Gassen (Niederlausitz) geflüchteten Belegschaft der Heylandt Gesellschaft (seit 1923 Tochtergesellschaft) zu der Schalchener LINDE Belegschaft. Nach dem Zusammenbruch des dritten Reiches 1 945 fehlte in Schalchen die Auslastung mit entsprechenden „lindetypischen" Produkten. Die kleine Belegschaft stand mit leeren Händen da. Als einzige Arbeit blieben nur noch die Materialvorröte und Maschinenteile jeglichem fremden Zugriff (US-Besatzungsmacht) zu entziehen. Zum Tauschen und Kaufen gab es in dieser Zeit sehr wenig. Dies sollte sich bald ändern, da auch in der Gegend ein schwungvoller Handel mit selbstgebautem Tabak einsetzte, und hier begann eigentlich schon wieder der Aufstieg in Schalchen - mit hergestellten Tabakschneidemaschinen war ein Verkaufs- und Tauschgegenstand geschaffen worden. Zudem beschränkte sich die erste „Fertigung" auf Gegenstände, die noch niemals ins Programm von LINDE gehört hatten und etwa zwei Jahre später wieder spurlos daraus verschwanden — nämlich auf die Herstellung von Küchenhausrat - Tiegel, Pfannen Und Eimern aus Leichtmetall oder Eisenblech. Als sogenannte „Mangelware" fand dieses Geschirr bei den Werksangehörigen und in deren Bekanntenkreis reißenden Absatz. Mit noch größerem Interesse wurde bald darauf der Bau eines Klein-Küchen-Herdes begrüßt. Als weiterer Erfolg konnte die Fertigung von Destillierapparaten und der Bau von Ackerschlepperwagen aus Rohrkonstruktion sowie Rapsmühlen angesehen werden — hinzu kamen Aufträge von Futterraufen, die LINDE SpezialOdelpumpe wurde gebaut und Reparaturen an Mäh- und Dreschmaschinen sowie an Heuwendern und Butterfässern wurden der Schalchener Belegschaft anvertraut. Letztlich fand man über Reparaturarbeiten an Sauerstoffanlagen wie z.B. die Reparatur einer auf Schiene fahrbaren Anlage wieder zum eigenen Geschäft. Das Produktionsprogramm beinhaltete nun den Bau von Flüssigsauerstoff-Apparaten, Sauerstoff-Tanks und -Vergasern. Als 1949 der Pachtvertrag seitens der SKW aufgekündigt wurde, überlegte man, den im Krieg als Verlagerungsbetrieb entstandenen Zweigbetrieb in Schalchen zu schließen. Die Feststellung, dass im Alztal noch genügend Baugrund für industrielle Zwecke sowie ein großes Potential an Arbeitskräften vorhanden war — jeweils im Gegensatz zu Höllriegelskreuth, führte zu der Entscheidung, auf der „grünen" Wiese ein neues Werk zu bauen. Mit dem Bau der ersten Fertigungshalle (Halle l ) im Jahre 1 950 wurde der Grundstein für ein neues Zweigwerk der LINDE AG gelegt. Wenn Sie, liebe Leser neugierig geworden sind und zum Gelingen der Ausstellung beitragen möchten, können Sie den Heimatverein gerne mit weiteren Exponaten unterstützen. Gesucht werden Fotos, Bildund Schriftdokumente, Lehrverträge, Werksausweise, Modelle, Werkzeuge etc. aus den Anfangsjahren, die eine Ausstellung lebendig werden lassen. Leihgaben, die zur Verfügung gestellt werden, werden von Andreas Leonhard in Zusammenarbeit mit Ortsheimatpfleger Helmut Guckel digitalisiert und wieder zurückgegeben. Größere Obiekte, die zum Ausstellungswochenende zur Verfügung gestellt werden, gehen ebenfalls nach Ende der Ausstellung zurück. Die Vorstandschaft freut sich über Ihre Rückmeldung, die Sie unter folgender E-Mail-Adresse: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder telefonisch bei Vorstand Andreas Leonhard, Telefonnummer 08621 /3546 geben können. Die Ausstellung wird in den Räumlichkeiten des Gröbner Anwesens stattfinden, da das Heimatmuseum bekanntlich bis auf weiteres geschlossen bleiben muss. Im Vorfeld recht herzlichen Dank an die Martin-Gröbner-Stiftung, besonders an Ursula Sauter-Spiegl und Hans Peter Spiegl, die unser Anliegen mit einer sofortigen positiven Zusage unterstützen.